Inhalt:

Haare

Haare heben sich nicht leicht auf. Sie wachsen noch ein wenig nach dem Tode.
Sie markieren die Scham und nehmen dem Körper das Glatte, Abstrakte.
Die Kosmetikindustrie spricht von „lästigen“ Haaren.
Was ist an Haaren lästig? Warum sind sie hier tabuisiert, dort „lästig“, auf dem Kopf aber erwünscht?
Haare üben auf mich einen großen Reiz aus. Hinter ihnen verbirgt sich noch etwas Anderes, vielleicht etwas, das wir nicht wahr haben wollen.
Vielleicht erinnern sie uns an etwas, das wir nicht sehen wollen. (1972)


 

Was zwingt mich ja zu sagen zur Versteinerung?

Material und Form sind Metaphern. Sie sagen etwas aus über Existenz und Bedingungen von Existenz.
Material als gefundene, vorgefundene Wirklichkeit, löst den Prozess des Bildermachens aus.
Es geht mir um die Einordnung, Zuordnung, um den eigenen Standort.
Material haftet das Unerlöste menschlich-tierisch-organischer Existenz an. Ich möchte es nicht transzendieren - im Gegenteil, ich brauche es als Anker für den geistigen Höhenflug, damit der Luftballon nicht entschwebt.
Es geht mir nicht darum, mich über die Erde zu erheben, sondern darum, die Erde, erhoben wie sie ist, zu erkennen.
Dazu sind mir gerade die beladenen, verachteten, brüchigen, ja die als unästhetisch belegten Materialien recht.
Schönheit und Hässlichkeit sind mehr moralische als ästhetische Kategorien.
Was die Zuwendung zum Material so nötig macht, sind die Wirklichkeit verdrängenden „Fortschritte“ der Zivilisation ebenso wie die Flucht in die Abstraktion.
Es muss in meiner eigenen Existenz begründet sein, dass mich die Erscheinungen von Häuten, Oberflächen, Haaren, Dornen, on weißer, ausfließender Farbe, von Steinen und Teer so sehr herausfordern. Ich halte und benütze sie wie Beweise von Existenz und wie Masken für Inhalte, die unheimlich, ja beängstigend sind. Es ist fast so, als ob ich mir durch das Vorweisen, Anfassen, Zuordnen von Material, das aus der Welt stammt, das aus der Zivilisation kommt, das organisch oder mineralisch ist oder auch künstlich, beweisen müsste, dass es diese Welt, und mich in ihr, wirklich gibt.


 

Inkarnation

Ich sehe im Materialbild die Möglichkeit, geistige Aussage zu inkarnieren, um sie dadurch in der Welt zu verankern.
Material wird nicht dadurch veredelt, dass es sich vergeistigt, sondern es ist edel, weil es selbst Inkarnation des Geistes ist. Es gibt also kein unedles Material, ebenso wenig wie es einen vom Körper gelösten Geist gibt. Dieser wäre nichts als ein Gespenst. Geistigkeit, die sich so weit vom Boden entfernt hat, dass ihr die Erde, der Körper, als ungeistiger Schmutz erscheint, ist nichts als ein Phantom. (1972)


 

Das Schöne

Das Schöne an sich anzustreben halte ich für Unsinn.
Schön wird etwas, weil es einer tiefen Notwendigkeit entspringt. Die Vorstellung vom Schönen verändert sich ständig.
Wird etwas sinnentleert, so erscheint es als hässlich oder veräußerlicht.
Dinge, die wir hässlich finden, sollten wir genau befragen.
Unsere Empfindung signalisiert uns den Ort, an dem wir stehen.
Dieser Ort kann ver-rückt sein.
Dann wäre es angebracht zu fragen, was wir tun müssen, um das schön zu finden, was uns jetzt hässlich erscheint. (1972)


 

Schmutz

Schmutz ist ein gesellschaftliches Problem geworden. Der immer saubere programmierte Mensch erzeugt solche Schmutzberge, dass er beginnt darin zu ersticken. Frage: Wie kann die Sauberkeit so viel Schmutz aufwerfen? Oder: Je mehr wir waschen, scheuern, desinfizieren, desto schmutziger wird die Welt. Und dieser Schmutz fällt buchstäblich auf uns zurück, so dass wir immer schneller immer schmutziger werden. Je mehr Seife, desto mehr Schmutz.
Die Illusion unserer Reinheit zerfällt immer schneller, und sie wird immer teurer erkauft.
Ist es nicht an der Zeit, den Schmutz anderswo zu suchen als auf der Haut?
Der Schmutz, um den es wirklich geht, lässt sich nicht mit Seife aus der Welt schaffen, auch nicht mit falscher Moral, Ideologie des Schönen etc. (1972)


 

„Waldmale“

Mein Beitrag zu den „Waldmalen“ am „alten Rain“ bei Herrenberg sollte ein Boot werden, das mit dem Bug voran, eine letzte, weiße Bugwelle aufwerfend, in der Waldlichtung untertaucht. Die Gabelungen von Eichenästen sollten, als die Rippen des Bootes, das Sinken in Fahrtrichtung verbildlichen.
Ich denke seit längerem an das Boot, an die, die es mit sich trägt, insbesondere an Nachen, Kähne, hölzerne Boote, die wie Geisterschiffe menschliche Ladungen über Abgründe führen und mit ihnen versinken. Sie sind für mich nahe liegende Metaphern für die Existenz des Menschen in seinem Körper, mit seinen Rippen und seinen eigenen Frachten.
So führte mein Erdskelett Erde und Haare mit sich und Knochen, ja einen eigenen Spielball.
Die weiße Bugwelle, mit Kalk in den Rasen gestreut, und der Steven sind eigentlich alles, was vom Boot und vom ersten Vorhaben übrig geblieben sind.
Der Bootsrumpf, das Gerippe, verwandelte sich während der Arbeit in ein Waldtier, das verendend, mit gen Himmel gestreckten Läufen auf dem Rücken lag.
Die Ladung des Bootes wurde zum Tierkörper. Er folgt der Spur des versinkenden Nachens wie ein Torpedo, das den Rasen pflügt - ein grässliches, behaartes Ungeheuer, dessen Verrecken nicht Mitleid, sondern Ekel erregt.
Was lag näher, als mich selber neben den Kadaver auf den Waldboden zu werfen, um aus eigener Kraft schwimmend das Ufer zu erreichen. (1982)


 

Zur „Oberfläche“

Dem analytischen Denken entspricht es, die „Wahrheit“ in Abstraktionen zu suchen.
Das „Geistige“ wird verstanden als das allem Materiellem entblößte, so genannte „reine Seiende“: Ein Trugschluss und ein recht bequemer dazu, weil er erlaubt, sich um Wirklichkeit zu drücken.
Wirklichkeit als das verstanden, was unser fleischliches Hiersein in einer materiellen Welt betrifft.
Sind wir, was die Bibel sagt, eine Schöpfung Gottes, dann kann der Erkenntnisweg nicht sein, die Idee Gottes nachzuvollziehen als Abstraktum, so als ob es die Welt nicht gäbe, sondern nur den bescheidenen Versuch über die geschaffene Welt, aus den Geheimnissen, die uns umgeben, Rückschlüsse zu ziehen auf das Geheimnis, das alles hervorbrachte.
Das Aufsuchen sog. Gesetze, die Beweisführung über physikalische Eigenschaften, chemische Prozesse etc. sind wie die Gottesbeweise der Religion: Projektionen unserer Hilflosigkeit. Sie verstellen das Einsehen, mehr als dass sie Öffnungen schaffen.
„Gott“, „die Wahrheit“, „das Unbekannte“ sind ganz nah. Wir berühren täglich, was wir erreichen wollen, sind mitten drin, wohl selber ein Teil davon, ohne es zu begreifen.


 

Zur Installation „Stelle des Feuers“

„Stelle des Feuers“ ist der Ort der Einfriedung mit den angesengten und zerbrochenen Stücken der „Welt“, die zurückbleibt, wenn die Jäger den Braten gegessen haben, wenn die aus der Flugbahn gestürzten Vögel zu Dung geworden sind.
Es ist der Ort der Glut und der Asche, das Auge, das Loch, das, was die Zeit überdauert.
Die „Stelle“ ist eine Insel im Meer, ein Planet im All, ein ausgewählter Garten, ein Hortus.
Der Hauch der Zeit weht aus der Glut. Die Geschichte der Evolution als geologischer Ort der Versteinerung.
Ein Ort der Erinnerung, in dem die Zweifel nisten und knistern. Ein verlassener Platz.
Ein leeres Denkgebäude. Ein Traum in Schwarz und Weiß. Eine Schädelstätte. Der meditative Ort einer Aschenkultur, aus der wohl nie ein Phönix steigen wird. Eher Begräbnisstätte, Landeplatz, Deponie, Entsorgung, Ort des Aufbruchs, „Stelle des Feuers“ ist Melancholie, ist Aufhebung der Entwicklung, Anhalten, Einhalten, Suche nach Zeitlosigkeit, Geschichtslosigkeit, Vergessen, Zuordnung des Zeitlichen in das Unzeitliche.

Sieh, das Neue ist alt: es ist Kommen, Sein und Vergehen. Doch gib der Kreatur die Hand, wenngleich alles vergeht.
Auch Ozeane sterben, Sterne vergehen. Wir treiben im Lichtkreis des Augenblicks zwischen unendlichen, fassungslosen Räumen. (24.02.1983)


 

Bilder

Bilder entstehen in ihrer Zeit, sie brauchen Zeit, um gemacht zu werden. Zeit kann sich in ihnen äußern, Zeichen des Entstehens, des Vergehens, des Aufbauens und des Zerfalls, wie die Spur im Sand.

Verdeckt man den Meerhorizont mit einem getrockneten Fisch, so maskiert man die Ferne. Der Raum wird zugedeckt mit einem Bewohner des Raumes. Man kann sich so Räume erklären. Auch durch das Aufdecken von Steinen kann man Räume erschließen. Meine Bilder meinen das Bild.

Wenn ich einen Tonkrug fallen lasse, habe ich ihn vielleicht zerstört. Die abgestandene Soße bildet eine Lache. Der zerstörte Topf ist entleert. Ich kann ein neues Gefäß machen und es mit frischem Inhalt füllen.

Feste, undurchdringliche Wände, Flächen scheinen etwas Endgültiges zu sein, schwer wegzuhacken. Hinter ihnen stehen wieder Wände.

Viele Räume nebeneinander, übereinander, hintereinander: unsere Gefängnisse im Raum.

Unsere Ideen sind beschwert, sie haben Bleischuhe an, sie sind in das Material der Dinge und in unser Fleisch eingewachsen. (1970)


 

Zu „Traumzeit“

Wenn die australischen „Eingeborenen“ Holz, Federflaum, Ocker, Rötel, Kalk, Baumharz u.a. für die Herstellung ihrer Kultgegenstände verwenden, Materialien, die sie aus der Naturumgebung gewinnen, dann sind diese „bildnerischen Mittel“ nicht irgendwelche ästhetischen Mittel vermittelnder Industrien oder Produkte einer vermittelten Welt, sondern sie sind oder repräsentieren die Kräfte einer beseelten Umwelt, die unmittelbar, d.h. nicht anders zu vermitteln als durch eben diese Materialien, von denen Leben ausgeht und abhängt, Geräte herstellbar machen für die Lebenserhaltung: Geräte für die unermüdliche, die Not wendende, zyklische, wieder und wieder holende Sinnbildgebung. Bilder und „Kunstgegenstände“ sind also Werkzeuge für Erhaltung und Produktion von Sinnzusammenhängen - also Lebenssinn erzeugend und deshalb absolut lebensnotwendig. Der Charakter des Realen dieser Materialien und der aus ihnen gewonnenen Realitätsbezüge hat überraschende Parallelen in der „Findung“ des „object trouvé“, des „ready-made“, den Erfindungen von Materialbild und „Collage“, der „konkreten Kunst“ in der Malerei des 20. Jahrhunderts. Was sind „performances“ anderes als quasi-kultische Handlungen individueller Mythologien von Künstlern unserer Zeit, die „ es mutet fast verzweifelt an - versuchen, wieder dort anzusetzen, wo Hochkultur und moderne Zivilisation die Nähe zur Erde, zu Materialien und den ihnen innewohnenden Kräften verlassen haben, keinen Sinn mehr vermitteln und dadurch auch die Unmittelbarkeit von Leben schmerzlich vermissen lassen.
Nicht nur „Blut ist ein ganz besonderer Saft“, sondern auch Erde ist ein ganz besonderes Pulver, das zur Heimatlosigkeit und ins Elend führt, wenn es schwindet. (1996)


 

7 Bilder aus Moskau

Tanjas kleines, zerwohntes Zimmer, im zerbröckelnden Hochhaus, erreichbar über ein hoffnungsloses Treppenhaus, dessen einst blau glasierte Kacheln den Müll und Schutt matt spiegeln. Zahnlose Alte in schmuddligen Sackkleidern sonnen sich vor dem Eingang.

Tanjas müdes Lächeln, ihre schüchterne Art, den Tee einzugießen, ihre rührende Gastfreundschaft: ein Rest vom Geburtstagskuchen von gestern, mit winzigen, blauen Kerzenstumpen im Schokoladenguss, der mit Kräutern bestreute Salzhering, dem die Mitte fehlt, winzige grüne Äpfel.

Die großen Kunstdrucke nach Ikonen sind für die Kunstliebhaber und die Touristen.
Die kleinen, schlecht gedruckten, billigen Abbildungen sind für die Gläubigen.
Sie dienen als Andachtsbilder.

Ikone und „Blauer Reiter“: Der Hl. Georg ist im Begriff, den Drachen zu besiegen.
Nachdem er im Dunkel die Konturen des Bösen erkannt hat, hält er die Lanze bereit zum tödlichen Stoß. Die Tage des Drachens sind gezählt.

Improvisation am Arbat: Skizze zum Grundriss des neuen Hauses. Das Rad läuft, das Rad beschleunigt seinen Umlauf, das Rad wird vielgestaltig, saugt an und schleudert hinaus. Viele Dynamos beginnen zu singen.
„Der Fiedler“ lacht, während sich das Kraftfeld aufbaut. Die Kreisel tanzen, werden bunter.
Die Kreise schwingen hinaus. Die Menschenstrahlen werden länger. Die Gesichter hellen sich auf.

„Christos Vas“ „ die Augen des „Fiedlers“ sind blicklos, schon angekommen, zugleich wach und tief im Schlaf, mystisch verklärt. Der Filzhut hat sich in den Strohhut verwandelt.

Die Fassade, der Eingang zum babylonischen Turm des Außenministeriums, einer der Hochburgen des stalinistischen Stils, ist so direkt barbarisch, dass ich schon im vorbeifahren eine Gänsehaut bekomme. Das Prunkportal wird von zwei schwarzen Obelisken bewacht.


 

Der maskierte Esel und des Pudels Kern

Die Verwandlung des Pudels, eines Stoffpudels, Spielzeugtier der umsatzbewussten Bewusstseinsindustrie, war meine zweite Arbeit dieser Art. Die erste war die Maskierung eines Spielzeugesels. Merkwürdig, wie er sich im Laufe der Maskierung demaskierte. Der Hintergrund, vor dem ich mich dem Tier zuwende, ist schnell erzählt:
Ich komme vom Bild her und mache nun Plastiken, die immer noch Bilder sind. Manchmal finde ich Bilder, wie im Falle des Esels, der verendend auf einer Müllhalde lag. Er war nass, hatte ein Loch, muffelte schon, ein Auge fehlte, seine Plastikhufe waren abgewetzt „ alles in allem ein verbrauchtes, abgetakeltes Spieltier. Das Kind, dem der einmal gehört hatte, war über ihn hinausgewachsen. Es sollte nun neuere, erwachsenere Dinge verbrauchen. Vielleicht hatte es auch nur einen neuen, noch flauschigen Esel bekommen anstelle des alten, harten, dem man die Sägemehlfüllung schon ansah und dessen Signalrot verschossen war.
Den Pudel, das Spieltier von dem jetzt die Rede sein soll, brachte mir jemand. Besser gesagt, er brachte mir den Pudelkörper, der Kopf war weg. Wie ich ihn auch drehte und wendete, als kopfloser Pudel war er kaum noch zu gebrauchen. Wollte ich etwas mit ihm anfangen, dann musste ich ohne den Kopf auskommen.
Sein Körper aber, die Stellung der Beine am Körper, wirkte so unerträglich, dass ich mich entschloss, zuerst einmal die Beine zu versetzen. Moralische Bedenken brauchte ich wegen des kopflosen Pudels nicht zu haben.
Ästhetische Skrupel sind mir zwar nicht fremd, doch sind sie glücklicherweise so gerichtet, dass ich oftmals gerade das verantworten kann, was andere unverantwortlich finden. Der kopflose Pudel zog mich magisch an, während ein gewöhnlicher Pudel mich kalt lässt. Das kann man für abartig halten.
Aber vielleicht verhalte ich mich so aufgrund der Artigkeit meiner Zeitgenossen, die so meines Erachtens mehr als genug das Artige miteinander und durch einander erledigen. Ein Kind, das seinen Pudel wegwirft, ist deshalb noch lange nicht in der Lage oder dazu bereit, ihn umzubauen. Ich aber zog mich in mein Atelier zurück. Dort konnte ich, frei vom Selbst- und Welterhaltungswillen des Kindes, mein Werk ungestört beginnen.
Mein Eifer war keineswegs blind. Meine Naivität, durch etliche Zweifel recht durchlöchert, stand mir nicht mehr im Weg. Ich tranchierte die Hinterbeine und setzte sie so weit nach vorne, dass mit den Vorderbeinen zusammen eine kompakte Vierergruppe von Pudelbeinen entstand. Der lang gestreckte Körper mit dem hoch ragenden Pudelschwanzstummel stieß nach geglückter Operation weit über den Ansatz der Hinterbeine hinaus, in den leeren Raum vor.
Aha, der Hund wollte nach hinten ausbrechen. Ich erkannte richtig, wie in dem kopflosen Geschöpf ein neues Wesen heranwuchs, das menschliche Züge annahm, menschlich im Sinne des Unmenschlichen.
Das Unmenschlichwerden des Pudels kann aber keineswegs als Vertierung bezeichnet werden.
Der unmenschliche Mensch ist sicher kein Tier „ ganz im Widerspruch zum Sprachgebrauch. Er ist und bleibt ein Unmensch, und gerade darin ist er ganz Mensch.
Es trifft wohl die Sache am besten, wenn ich sage: Der Hund, indem ich ihm die Beine versetzte, er unmenschlichte; vertieren konnte er ja nicht.
Würde ich sagen: der Hund vermenschlichte, dann wäre das zwar richtig in dem Sinne, wie ich den Menschen verstehe, es würde aber vielleicht falsch verstanden werden.
Offen lasse ich die Frage, ob ein Tier unter Umständen vertieren kann. Ich glaube es nicht, aber man kann darüber streiten.
Der nicht vertierte, sondern eher vermenschlichte Pudel mit der Tendenz zum Unmenschlichen schaute mich mit seinem Schwanzstummel über dem entfremdeten Hinterteil fragend an. Mir fehlten die Sinne, um seine Frage sofort zu verstehen. Eventuell wusste er selber nicht, was in ihm vorging. Eine dumpfe Hoffnung sprach aus ihm. Sein schwarz gelockter Hintern, seine After- und Geschlechtslosigkeit, die mir ebenso tragisch erschien wie seine Kopflosigkeit, hatten seinem Sein als Tier endgültig den Rest gegeben.
Ein Tier war das nie, konnte es nie gewesen sein und konnte es nun erst recht nicht mehr werden. Die Sache war abgekartet.
Der Pudel war aber auch nicht, was jetzt einige immer noch glauben, nicht nur deshalb nicht das Bild eines Pudels, weil ihm der Kopf fehlte und weil ich ihm die Beine versetzt hatte „ er hatte von vorneherein das Kainsmal des Untieres an sich und, so verstand ich den fragenden Krüppelschwanz, dies galt es aufzudecken.
Mit anderen Worten: Es galt, das Menschsein des Pudels zu entdecken, gleichgültig, was immer die Konsequenzen sein mochten.
Wie konnte ich dieser Aufgabe gerecht werden? So einfach wie bei der natürlichen Metamorphose war das nicht. Warten half nicht. Etwas Entscheidendes musste geschehen. Sie nehmen sicher an, ich hätte in dieser Situation nach dem Messer gesucht - oh nein, das lag mir fern. Die Konsequenzen solch sezierenden Denkens tragen Sie, nicht ich.
Von einem Messer versprach ich mir nicht mehr als die Förderung von Sägemehl aus dem Pudelinneren. Sägemehl brauchte ich nicht, den leeren Pudel wollte ich nicht, sein Fell taugte nicht als Trophäe.
Wäre ich mit dem Messer gekommen, dann wäre der Fall schnell zu Ende gegangen, und damit auch diese Geschichte nie geschrieben worden. Mein kurz geschlossenes Verhalten müsste ich mir noch heute vorwerfen. Es wäre ja nichts weiter geworden, als dass ein ohnehin untypischer Stoffpudel verbraucht, weggeworfen, vergessen, auch noch aufgeschlitzt worden wäre - welch ein Unsinn.
Ich nahm meine Chance auf andere Weise wahr. Da ich - wie gesagt - nicht mehr ganz naiv bin, hatte ich nicht die Hoffnung, aus dem Pudel werde sogleich ein Schmetterling schlüpfen. Und da ich weiß, dass Kunstprozesse und Naturprozesse zwar vergleichbar, aber niemals identisch sind, ging ich den Weg des Zuklebens.
Wie aber, werden Sie fragen, kann einer auf des Pudels Kern stoßen, indem er den Pudel, wenn auch nur teilweise, zuklebt? Ehrlich gesagt, das hätte auch ich früher für unmöglich gehalten. Aber der Anblick des Zugeklebten belehrte mich eines Besseren.
Des Pudels Kern, soviel weiß ich nun gewiss, ist ein verkleideter, verkrüppelter, deformierter Mensch in einem tierischen Körper.



Villa Romana lacht

Seit einem halben Jahrhundert nennen wir ihn 'Himi'. Mit Himi verband ich so etwas wie einen dadaistischen Priester, dazu prädestiniert, im Jahr 1969, in einem Burgenländischen Weinkeller, ein künstlerisch-wissenschaftliches Happening zum Totenkult zu eröffnen.
Niemand wusste damals genau, was Himi künstlerisch eigentlich machte. Man hörte, er schreibe ein Tagebuch. Von Irmela Röck ließ er sich porträtieren, den siebenarmigen Leuchter in den Händen, als Rabbi. Es war etwas Geheimnisvolles um ihn, etwas Uraltes.
Er war ein 'Exot' der damaligen Stuttgarter Kunstszene, die sich um 1960 fortschrittlich abstrakt gab und, wie sie meinte, zu aufregenden Ufern aufbrach.
In diese kämpfende, von amerikanischer Avantgarde beeinflusste Gruppe passte Himi nicht. Als ein scheinbar Unzeitgemäßer musste er seinen Platz erst noch finden. Himi, vor seiner Zeit als Leiter der Villa Romana, geisterte viel in Europa herum, lernte große Künstler kennen: Otto Dix, Alberto Giacometti, Max Brod, Victor Schwowsky, Marc Chagall, de Chirico, Huelsenbeck, Cocteau, Alberti...

Nach mehr als drei Jahrzehnten wissen wir zwar immer noch nicht, was in Himis Tagebüchern geschrieben steht, aber die Villa Romana der vergangenen 33 Jahre, das, was aus ihr geworden ist, steht als sein Lebenswerk fest. Er hat mit Leidenschaft aus dem Haus an der Via Senese eine Art Künstlerfalle gemacht, vergleichbar Spoerris 'Bildfallen' und mit konservatorischer Akribie als Erster die ganze Geschichte der Villa Romana recherchiert und dokumentiert. Kein Besucher kommt und geht, ohne an der schwarzen Tafel im Foyer aufgeschrieben zu werden. In jährlich erscheinenden bebilderten Chroniken wird dort festgehalten, wer aus- und eingegangen ist. Stipendiaten und Gäste, Kontakte und Feste werden sedimentiert und ästhetisch kompostiert. Die Geschichte der Villa Romana wurde anlässlich einer Ausstellung in der Villa Merkel in Esslingen am Neckar 1988 gewissenhaft erforscht, beschrieben und mit zahlreichen fotografischen Dokumenten belegt.

Burmeisters Leistung ist es, die Fülle lebendiger, gelebter Geschichte von mehr als frei Generationen festgehalten und dem Vergessen entrissen zu haben. Um dies zu bewerkstelligen, fotografiert, notiert, sammelt, ordnet Burmeister stündlich, täglich, seit 33 Jahren ununterbrochen. Dass der künstlerische Mensch Burmeister, in relativ jungen Jahren, wie es der Zufall wollte - aber 'nicht nicht jedem fällt etwas zu' (Zitat Willi Burmeister), an der Villa Romana vorbeistreifend, von dieser eingefangen wurde, ist zum Glücksfall für den deutsch-italienischen Kulturaustausch geworden. Was hat er aus diesem Haus gemacht!
Ich war einmal dort, vor seiner Zeit, 1964. Geografisch derselbe Ort, lag dieser aber sozusagen im toten Winkel großer Vergangenheit, unbeachtet am Arno, dessen Hauptströmung zu Früh- und Hochrenaissance gerade wieder mächtig anschwoll. Was aber hatte dieser Strom mit den künstlerischen Strömungen unserer Zeit zu tun? Wie sollte sich ein deutsches Künstlerhaus in Florenz behaupten? Ganz andere Städte verbanden zeitgenössische Künstler mit den Entwicklungen der Moderne, New York, Paris, ja sogar Stuttgart. Florenz war Provinz, ein Schatzkästlein der Vergangenheit. Diese Stadt der Frührenaissance schien denkbar ungeeignet, das zeitgenössische zu artikulieren, Ort des Aufbruchs zu sein. Diese schlanken Zypressen gehörten einer anderen Kunstepoche an, waren Eigentum Fra Angelicos, allenfalls Böcklins oder Klingers. Schon Van Goghs stürmischer Mistral hatte sie gehörig zerzaust.

Vor dieser Zeit reiste der junge Künstler Burmeister, wie gesagt, viel kreuz und quer durch Europa in Ost und West und begegnete dabei auch Harro Siegel, seinem Vorgänger, Leiter der Villa Romana von 1965-1971. Die 40-Zimmer-Villa kam wie gerufen. Himi nistete sich ein. Aus dem Zufall wurde ein Glücksfall. Viele konnten seither an diesem Glück teilhaben. 'Alle Welt' geht dort aus und ein und selbst das stolze Florenz, das nach wie vor über seiner längst flügge gewordenen Vergangenheit brütet, muss wahrnehmen, dass zumindest dort, an der Via Senese, der südlichen Ausfallstraße, künstlerische Gegenwart herrscht.

Diese Straße, entlang der sich hinter einer hohen Mauer und zwei Eisentoren, Haus und Park der Villa Romana verbergen, fällt steil ab, hinunter zur Porta Romana, auf das historische Zentrum von Florenz zu. Ihre Überquerung ist gefährlich. Tausende von Autos, Rollerfahrern, Mopedfahrern stürzen sich täglich in rasender Fahrt dort hinab. Unter ihnen sieht man gelegentlich einen inzwischen älteren Herrn mit weißem Pferdeschwanz auf dem Fahrrad: Joachim Burmeister, Himi, Leiter der Villa Romana.
Die Straße ist abgenutzt, uralt, und führt entlang brüchiger Mauern, über die, auf dünnen, überlangem Stamm, eine Pinie aufragt, die ich wahrnehme, weil sie oft von Künstlern gezeichnet wurde. Der Lärm der Straße fließt mit dem Verkehr hinunter, so, als könne er Parkmauer und das schwere Eisentor nicht überspringen.

Wem sich das Tor öffnet, der betritt unvermittelt die geschützte Zone, lässt Lärm und Staub hinter sich. Die 'Zone' scheint aus der Zeit und aus der Topografie der Stadtlandschaft wie herausgeschnitten. Wer sie wahrnimmt, d.h. wer ausgewählt, angemeldet, wer zugelassen wird, der hat sie. Der Autobahnstress einer Anfahrt aus Deutschland endet hier.

So wie den Stipendiaten oder den Gast Lorbeerhecken, Zypressen, Bambuswäldchen, Blütenduft empfangen, wie freundlich er von Himi und seiner Frau Veronika begrüßt wird, so einladend liegt die Villa da, mit ihrer Tag und Nacht geöffneten Haustür. Auch Haushund Fridolin freut sich über ständige Abwechslung. Spät sollten die Gäste allerdings nicht ankommen. Der Hausherr hält die Zügel straff und persönlich in Händen. Er ist nicht anonymer Verwalter, sondern eigensinniger und eigenwilliger Gestalter, seit Jahrzehnten in seiner vielschichtigen Tätigkeit gereift, ein Selbstbewusster, Anerkannter, mit dem italienischen Verdienstkreuz des Commendatore und dem doppelten Bundesverdienstkreuz Ausgezeichneter.

Die Villa Romana ist 'seine' Villa geworden, sein Gesamtkunstwerk, sein Tagebuch. Himi ist mit seiner Aufgabe gewachsen und vollständig mit ihr verwachsen. Er ist aber nicht nur der Hausherr, sondern immer auch der Dinner seiner Villa-Romana-Künstler, Preisträger, Gastkünstler und Gäste aus aller Welt, der, wenn notwendig, eigenhändig die Matratzen die enge Treppe in die Gastzimmer schleppt.

Wie sehr sich Burmeister mit 'Villa Romana' und seiner Aufgabe identifiziert, zeigt die Präzisierung seiner Handschrift im Haus, in den Park- und Gartenanlagen, die Einbettung der Sitzgruppen und Lauben, Neubauten, wie die des Limonaia-Atelierhäuschens, der Gartenküche, des Grillplatzes. Im Haus sind es die überwältigende Fachbibliothek, die stillvolle Gästeküche, die Zimmer und deren Ausbau und Einrichtung sowie die ständigen Arbeiten zur Erhaltung der Bausubstanz.

Wir haben uns im Garten, in der Jasminlaube verabredet. Veronika Burmeister ist schon gekommen und die süßen Stückchen sind fast aufgegessen, als der Vielbeschäftigte sich von seiner Arbeit losreißen lässt. Wir verstehen, dass der für alles Zuständige sich zerreißen musste, wollte er alle immer gleich zufrieden stellen. Gäste sind angekommen, eine Ausstellung muss vorbereitet werden, ein Text muss druckreif gemacht werden, die nächste Reise muss organisiert werden, ein Wasserhahn tropft...

Da wir am nächsten Morgen ausreisen, besorgen wir Hühnerfleisch, Brot und Wein für eine improvisierte Gartenparty am Abend. Es hat sich eingebürgert, dass Gäste sich so verabschieden. Und, weil das Kommen und Gehen kein Ende nimmt, folgt im Sommer ein kleines Gartenfest dem anderen. Grillplatz und Gartenküche eignen sich bestens dazu, sich in unterschiedlichsten Besetzungen zwanglos zu treffen. Dort entwickeln sich interessante Gespräche. Brennholz findet sich im Schuppen. Feuer und Rauch signalisieren, dass man sich zusammenfindet. Die Villa-Romana-Künstler und Gäste kommen nach und nach. Veronika bringt Salat aus dem Garten. Die Gespräche in der wachsenden Runde werden, je länger der Abend ist, umso intensiver. Irgendwie findet sich immer noch Wein. Bei bester Laune kommt Himis rheinisches Temperament in Fahrt. Er nimmt die Vorstellung der um das Feuer Sitzenden selbst in die Hände, charakterisiert jeden einzelnen ohne Unterschied, stellt sich hinter sie, macht sich zu ihrem Sprachrohr. Aus einer Gesprächsrunde am Feuer macht er ein Gesamtkunstwerk, die 'soziale Plastik' eines inspirierenden Abends, der tief in die Nacht reicht und den keiner so schnell vergessen wird.

Villa Romana mit Himi, das ist inspirierend und liebenswert. Das ist ein Traum, wie ihn wohl schon der Gründer Max Klinger geträumt haben mag, der, trotz aller zeitbedingter Unterbrechungen, seit hundert Jahren geträumt werden durfte.

Dass Villa Romana und mit ihr Joachim Burmeister hundertjährigen Geburtstag feiern dürfen, dass dies an vielen Orten, so auch in Stuttgart, dem Ort von Himis Aufbruch, gefeiert wird, verdanken wir vor allem ihm selber. Er hat den Wundern von Florenz sein Wunder hinzugefügt. Kein Wunder, dass ihn und sein Haus jetzt viele feiern wollen.

[Aus dem Ausstellungskatalog 'Stuttgart gratuliert. 100 Jahre Künstlerhaus Villa Romana in Florenz, Stuttgart, Sommer 2005.]

Texte zur Kunst
Gedichte